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Bürgerhaushalt als Ideenbörse

Märkische Allgemeine |  06.04.2006

Bürgerhaushalt als Ideenbörse

Lichtenbergs Bezirkschefin über ein Modell für mehr Bürgerbeteiligung

Zur dritten und letzten Versammlung zum für 2006 erstmals aufgestellten Potsdamer Bürgerhaushalt wird heute ab 18 Uhr in den Treffpunkt Freizeit eingeladen. Die Veranstaltung hat das Handicap, dass der Stadthaushalt 2006 längst beschlossen ist und Anregungen des Bürgerhaushaltes, der erst gestern von den Stadtverordneten bestätigt werden sollte, gar nicht mehr Eingang in das Zahlenwerk finden konnte. Nächsten Dienstag wird zu einer weiteren Veranstaltung zum Thema ins Stadthaus eingeladen. Gast ist die Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Lichtenberg, Christina Emmrich (PDS), die bereits Erfahrungen mit einem Bürgerhaushalt hat. Mit ihr sprach Volker Oelschläger.
Wie und wann entstand die Idee, für Lichtenberg einen Bürgerhaushalt einzurichten?

Emmrich: Wir haben 2004 damit begonnen. Wir sind dabei, Lichtenberg zu einer Bürgerkommune zu entwickeln. Der Bürgerhaushalt ist ein wichtiger Teil dieses Projektes, schließlich werden über die Finanzplanung wichtige Lebensumstände beeinflusst.

Ist es richtig, dass Lichtenberg einer der ersten Orte in Deutschland mit einem solchen Projekt ist?

Emmrich: Es gab nach dem Vorbild der brasilianischen Kommune Porto Allegre bereits einige von der Bertelsmann-Stiftung unterstützte Modellprojekte in kleineren Städten in Nordrhein-Westfalen. Unser Bezirk ist bundesweit der erste Ort mit mehr als 200 000 Einwohnern, in dem solch ein Modell versucht wird. Das hat uns auch die Bundeszentrale für politische Bildung bestätigt, die einer unserer Partner ist.

Wie verfahren Sie?

Emmrich: Es gibt zunächst eine klare, einstimmige Beschlusslage in der Bezirksverordnetenversammlung und im Bezirksamt, die von allen Parteien getragen wird. Darin ist auch das Prozedere festgelegt, dass die Diskussion eines Bürgerhaushaltes zunächst mit einer zentralen Auftaktveranstaltung eröffnet wird. Dieser folgen parallel fünf dezentrale Runden vor Ort.

Bleibt die Debatte auf diese Versammlungen beschränkt?

Emmrich: Es gibt natürlich weitere Foren: Wir haben einen eigenen Internetauftritt anfertigen lassen, über den eine interaktive Beteiligung möglich ist. Außerdem werden 5000 Haushalte mit der Bitte um Briefbeteiligung angeschrieben, die nach dem Zufallsprinzip ausgewählt wurden.
Wie hoch ist ihr Jahresbudget für die Arbeit am Bürgerhaushalt?

Emmrich: Wir haben dafür 125 000 Euro bereit gestellt.

Wie funktioniert die Auswahl der eingereichten Vorschläge?

Emmrich: Aus jeder der fünf dezentralen Runden werden etwa 20 Vorschläge weiter gereicht. Bis zu 20 können aus der Internetumfrage gezogen werden, weitere 20 kommen aus der Briefumfrage bei den Einzelhaushalten. Eine Redaktion siebt unter diesen Vorschlägen weiter aus. Für den Bürgerhaushalt 2007 blieben von den insgesamt 140 Anregungen zunächst 42 übrig, die gestern Abend im Haushaltsausschuss abschließend beraten werden sollten.

Wer arbeitet in der Auswahlredaktion?

Emmrich: Wir haben zunächst verwaltungsintern ein Redaktionsteam berufen, das an jeder Veranstaltung teilnimmt. In jeder der fünf dezentralen Versammlungen werden außerdem zwei Vertreter gewählt, die den weiteren Werdegang der dort gemachten Vorschläge verfolgen. Sehr von Vorteil ist die wissenschaftliche Begleitung durch ein Evaluierungsteam der Hochschule in Speyer.

Was geht mit dem Bürgerhaushalt, was geht nicht damit?

Emmrich: Die Bürger können Vorschläge für die Haushaltsplanung unterbreiten, das letzte Wort hat allerdings die Bezirksverordnetenversammlung. Zur Diskussion stehen außerdem nur die so genannten freiwilligen Leistungen etwa im Kultur-, Jugend- und Sozialbereich. Der Etat dafür beträgt mit 30 Millionen Euro sechs Prozent unseres Gesamtbudgets im Verwaltungshaushalt. Einen Vermögenshaushalt stellen wir als Stadtbezirk nicht auf.
Was geschieht mit den abgelehnten Vorschlägen?

Emmrich: Sie sind aus dem Verfahren heraus genommen, aber nicht unter den Teppich gekehrt. Das Bezirksamt legt Rechenschaft ab, wie mit diesen Vorschlägen umgegangen wird, die ja in jedem Fall erwünschte Anregungen sind. Schließlich verstehen wir den Bürgerhaushalt als Ideenbörse für politisches Handeln.

Wieviel Geld wird durch die Bürgervorschläge bewegt und wofür zum Beispiel?

Emmrich: Es bewegt sich Geld in einer Größenordnung von einer knappen Million Euro. Ein großer Teil der Vorschläge kann auch kostenneutral umgesetzt werden. Auf Position eins der aktuellen Rangliste steht ein Budgetzuwachs von 400 000 Euro für die Bezirksmusikschule.

Ist der Bürger gehalten, bei Vorschlägen für Mehrausgaben auch zu sagen, wo dafür gespart werden soll?

Emmrich: Das sollte er schon, er hat es aber bislang in den meisten Fällen nicht getan. Diese Deckungsvorschläge sollen im nächsten Jahr aber eine größere Rolle spielen.

Wenn Sie jetzt den Bürgerhaushalt für 2007 beschließen - wann beginnt die Debatte für 2008?

Emmrich: Wir bereiten alles vor, dass diese Debatte im Herbst beginnen kann.

Könnten Sie damit leben, dass über den Bürgerhaushalt noch diskutiert wird, wenn der Gesamthaushalt des Bezirks bereits verabschiedet ist?

Emmrich: Ich persönlich hielte es für absoluten Quatsch, einen Haushalt zur Diskussion zu stellen, der bereits beschlossen ist. Es ist auch unpraktisch. Denn wenn dann jemand kommt und etwas anders haben will, gerät man automatisch in eine Verteidigungssituation.

http://www.maerkischeallgemeine.de/cms/beitrag/10683209/60709/0